Köln ist die Hauptstadt des deutschen Galopprennsports. An der Rennbahn in Weidenpesch ist der Sitz des Dachverbandes und aller anderen wichtigen Turf-Institutionen. Die Bahn selbst ist in mancher Hinsicht die wichtigste im Lande, davon zeugen die meisten und die besten Pferde im Training, die erfolgreichsten Trainer und Jockeys sowie das Volumen an Rennpreisen und Prämien. 1997 feierte der Kölner Renn-Verein sein 100jähriges Bestehen. Harald Siemen verfaßte aus diesem Anlaß eine bemerkenswert gehaltvolle Festschrift. Hätten Sie in die Zukunft schauen können, dann wäre es den Verantwortlichen der Kölner Rennbahn 1947 rund um das 50jährige Jubiläum etwas leichter ums Herz gewesen. Doch dem nur 15 Minuten von der Stadtmitte entfernt gelegenen Rennplatz war es im Krieg nicht besser ergangen als dem Rest von Köln: 262 Luftangriffe, 145 versenkte Schiffe in den Häfen, fünf zerstörte Rheinbrücken, nur noch 40.000 Menschen in der Stadt! In Weidenpesch, das damals noch Merheim hieß, hatten 65 Bombentrichter das Renngeläuf zerstört, war von Stall- wie Zuschauergebäuden und vom Teehaus, dem Wahrzeichen der Anlage, nicht mehr viel übrig. Im November 1945 aber hatten englische Besatzungsoffiziere immerhin schon wieder einen ersten Renntag durchgeführt, dem 1946 zwei weitere folgten. Waldemar von Oppenheim und der damals 31jährige Ferdinand Leisten waren die Männer der ersten Stunde, die den Wiederaufbau vorantrieben. Leisten, der als einer der ersten Zivilisten über einen immerhin halbwegs funktionstüchtigen Kraftwagen verfügte, holte Franz Châles von Beaulieu, den Spitzenfunktionär des in alle Winde versprengten Rest-Turfs von Hamburg nach Köln. Beaulieu hatte einen Treck von 130 Rennpferden von Hoppegarten bei Berlin in den Westen geführt. Mit dem 26jährigen Generalstabsmajor Egbert von Schmidt-Pauli, Sproß einer passionierten Rennsportfamilie und selbst früher draufgängerischer „Herrenreiter“, wurde der Macher als Geschäftsführer des Kölner Renn-Vereins aufgetan. Und 1947, als viele andere Rennbahnen, darunter die Heimat des Deutschen Derbys in Hamburg-Horn noch daniederlagen, sprangen die Kölner in die Bresche. Zusammen mit den anderen rheinischen und westfälischen Bahnen übernahmen sie die bisher fast ausschließlich in Hoppegarten angesiedelten tragenden Prüfungen des Rennsystems - und für 1947 sogar das Derby! Wie das alles gehen würde und ob sie es sich leisten konnten, war zunächst recht unklar, doch sie schafften es: Der Rennhunger der Bevölkerung war enorm, am 27. Juli gab es einen Massenandrang, wie man ihn vor- wie hinterher nie gekannt hatte. 40.000 waren Zeuge, während Tausende enttäuscht umkehren mußten, nachdem selbst die schwarzgehandelten Karten - Tribünenkarten erreichten den Kurs von 100 RM - ausverkauft waren.“ Daß es einmal so kommen würde, war nicht zu ahnen. So war der Vorläufer der Weidenpescher Bahn, ein 1865 hergerichteter primitiver Exerzierplatz auf der „Mülheimer Heide“ so desolat, daß der Zoologische Garten gebeten werden mußte, seinen Elefanten zum Zertrampeln der Erdklumpen im Geläuf zur Verfügung zu stellen. Erster Sieger auf der heutigen Rennbahn wurde am 3. September 1898 ein dreijähriger Fuchshengst namens Amateur unter dem Jockey Teddy Martin. Es war ein „Verkaufsrennen“ und anschließend mußte der siegreiche Besitzer J. Miller mehr als das Doppelte des Rennpreises von 2900 Mark aufbringen, um das gute Tier für 6500 Mark zurückkaufen zu können. Ein Chronist berichtet: „Die prominenten Kölner Familien fuhren teilweise in vierspännigen Mailcoaches (auf den hinteren Trittbrettern livrierte Diener mit Posaunen oder Hörnern) nach Merheim.“ Morgens standen täglich ab 5 Uhr 10 bis 12 „Taxameterwagen“ vor dem Domhotel bereit, um interessierte Herrschaften zum Morgentraining der Pferde zu kutschieren. Der Innenraum des Rennovals wurde „multifunktional“ genutzt, für Golf, Reitturniere und später mitunter sogar für Flugvorführungen. Höhen und Tiefen folgten, meistens in exakter Parallelität zum allgemeinen Zeitgeschehen. Auf der Höhe der Inflation zum Beispiel kostete die Rennzeitung „Sport-Welt“, übrigens Deutschlands älteste Sportpublikation, im Einzelpreis 400 Millionen Mark, später galt für Rennpreise, Wetten und alles andere der „Multiplikator“ von 5 Milliarden. Von 1927 bis 1932 war der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer zweiter Vorsitzender des Kölner Renn-Vereins und arbeitete an der deutlichen Aufwärtsentwicklung der Bahn mit, zu deren Veranstaltungen übrigens mehr und mehr auch regelmäßige Modenschauen auf hohem Niveau gehörten. Auf den Krieg, in dem selbst mancher auf der Rennbahn gewonnene Ehrenpreis zum Einschmelzen an die Rüstungsbetriebe gegangen war, folgte ein sehr rapider Wiederaufstieg. Nach Weidenpesch pilgerte nicht nur die fachlich ambitionierte Turfwelt, sondern auch die Kölner Gesellschaft, selbst der Karneval (einschließlich Willi Ostermann, der als fanatischer Wetter galt). Paul Hörbiger und Spencer Tracy stellten dort einen Edgar Wallace-Film vor, es gab Promotion für den Pelz des Scheitelaffen von Abessinien und die ersten Bundespräsidenten gehörten sämtlich zu den Gästen. Im Zuge der Einführung der Zigarettenmarke Camel wurden sogar marokkanische Kamele für ein Rennen eingeflogen, was ein, wenn auch vielbeachteter, Lacherfolg wurde. 1963 begründete eine international ausgerichtete, spektakuläre Neugründung, der Preis von Europa, den Aufstieg Weidenpeschs an die Spitze. Seit dieser Zeit gibt es dort auch eine weitere Besonderheit: regelmäßige Gastspiele russischer Galopper (die sogar viermal den Europa-Preis gewannen). Im ersten Jahr hatten die russischen Turfmanager versehentlich Trabrennpferde nach Köln in Marsch gesetzt. Sie nahmen an, Weidenpesch sei eine Trabrennbahn. Dieser Fehler würde ihnen heute nicht mehr passieren.
86 Seiten, antiquarisch, guter Zustand.